Bereits nach asymptomatischer oder leichter Covid-Erkrankung kommt es zu kognitiven Beeinträchtigungen. Dies zeigt eine Studie des Imperial College London. Betroffen sind unter anderem Gedächtnis, verbale Intelligenz und räumliches Denken. Long Covid-Betroffene haben die größten Einbußen zu verzeichnen.

Ob Forderungen nach Aufarbeitung der Eindämmungsmaßnahmen während der Pandemie oder „Corona ist vorbei!“-Rufe gegenüber Personen, die noch Masken tragen müssen oder wollen: Man kann sich dieser Tage des Eindrucks nicht erwehren, Deutschland sei nun definitiv in der nachpandemischen Realität angelangt. Konsequenterweise werden auch Maßnahmen zur Raumlufthygiene nun zurückgefahren. HEPA-Filter in Bildungseinrichtungen – wo es sie denn überhaupt gab – ereilt nun zumeist eins der folgenden Schicksale:

  • Verschrottung
  • Lagerung „bis zur nächsten Pandemie“
  • Mangelnde Wartung
  • Einsatzverbot.

Ist nichts davon der Fall, so werden sie oft schlichtweg nicht mehr beachtet. Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene sollen die schwierige Zeit der Pandemie schließlich vergessen. Lufthygiene würde dabei nur stören. Oder?

Studie zeigt kognitive Beeinträchtigungen nach Covid-19-Erkrankung

SARS-CoV-2, das an der Pandemie schuldige Virus, beeindrucken unsere Befindlichkeiten freilich nicht: Das Abwassermonitoring des RKI zeigte weitestgehend unbeachtet einen nie dagewesenen Höhepunkt der Abwasserbelastung mit SARS-CoV-2 im Dezember 2023. Derweil rätselte man in Deutschland über die Ursache von Personalausfällen. Dabei sollten wir dem Virus auch heute Beachtung schenken, führen doch bereits leichte Covid-Erkrankungen zum Abbau kognitiver Fähigkeiten, wie die Studie eines Teams um Adam Hampshire von der Medizinischen Fakultät des Imperial College London zeigt. Diese ist nun im New England Journal of Medicine erschienen.

Speziell Menschen mit längerfristigen Beeinträchtigungen nach einer Covid-Erkrankung berichten häufig von Konzentrationsproblemen, Wortfindungsstörungen und ähnlichen Symptomen, die auf einen Abbau kognitiver Fähigkeiten, also eine Beeinträchtigung der eigentlich vorhandenen Intelligenz, schließen lassen. Bei ihrer Studie erhoben die Forschenden daher Daten mit Hilfe des Cognitron-Tests, einem Intelligenztest, der verbales und non-verbales logisches Denken und Planen sowie das Arbeitsgedächtnis misst. Mehr als 140.000 Menschen nahmen an der Studie teil, fast 113.000 bearbeiteten alle Aufgaben.

Da es den Forscher:innen vor allem darum ging herauszufinden, ob kognitive Beeinträchtigungen von der Länge und Schwere der Covid-Erkrankung abhängen, wurden die Teilnehmenden den folgenen Gruppen zugeordnet:

  • Nicht mit Covid infiziert
  • Mit Covid infiziert, jedoch ohne Symptome
  • Mit Covid infiziert und Symptomen, die nach weniger als vier Wochen abgeklungen waren
  • Mit Covid infiziert und Symptomen, die nach vier bis zwölf Wochen abgeklungen waren
  • Mit Covid infiziert und Symptomen, die nach mehr als zwölf Wochen abgeklungen waren
  • Mit Covid infiziert und Symptomen, die mehr als zwölf Wochen lang nicht verschwanden und zum Zeitpunkt der Messung noch immer andauerten („Long Covid“).

Frühe Virus-Varianten waren schädlicher als spätere

Der Tatsache, dass sich das Virus während des Zeitraums der Datenerhebung  immer wieder veränderte, trug die Studie Rechnung, indem man die Teilnehmenden in Gruppen einteilte, die der zum Zeitpunkt der Infektion vorherrschenden Variante entsprachen:

  • Wildtyp: bis 30.11.2020
  • Alpha (B.1.1.7.): 01.12.2020 bis 30.04.2021
  • Delta (B.1.617.2): 01.05.2021 bis 15.12.2021
  • Omikron (B.1.1.529): 16.12.2021 bis 31.03.2022, dem Ende der Datenerhebung.

Die gute Nachricht zuerst: Mit dem Übergang zur Delta- und schließlich Omikron-Variante ging auch der Abbau der kognitiven Fähigkeiten zurück. Waren es beim Wildtyp noch 0.32 Standardabweichungen (standard deviations, SD), so sind es bei Omikron nur noch 0.16, also die Hälfte.

Ergebnisse lassen sich in IQ-Punkte umrechnen

Standardabweichungen kommen zum Beispiel bei Intelligenztests zum Einsatz und werden für die Aufteilung der Ergebnisskalen verwandt. Die IQ-Skala definiert sich über einen mittleren Wert von 100 und eine Standardabweichung von 15 IQ-Punkten. Geht man also vom Mittelwert aus je 15 Punkte nach links und nach rechts, so definiert dies den Bereich der Intelligenz, der als „durchschnittlich“ bezeichnet wird. Durchschnittliche Intelligenz ist also der Bereich zwischen einem IQ von 85 und 115. Hier liegen etwas mehr als 68 % der Bevölkerung. Werte unter 85 sind unterdurchschnittlich, Werte über 115 überdurchschnittlich.

Ein Verlust von 0,32 SD beim Wildtyp bedeutet demzufolge einen Rückgang der kognitiven Fähigkeiten, der 4,8 IQ-Punkten entspricht. Bei Omikron ist noch mit einem Rückgang von 2,4 IQ-Punkten zu rechnen.

Rückgang kognitiver Fähigkeiten bei allen Schweregraden der Erkrankung

Ein Rückgang der kognitiven Fähigkeiten ist bereits bei asymptomatisch Infizierten zu beobachten (s. Abb. 1). Hier ist mit einem Verlust zu rechnen, der etwa 2,6 IQ-Punkten entspricht. Bei symptomatisch Infizierten sind die Rückgänge ähnlich, ganz gleich, wie lange die Symptome anhielten: Die Forscher:innen beobachteten einen Rückgang zwischen 3,5 und 3,9 IQ-Punkten. Mit einem größeren Problem sind diejenigen Menschen konfrontiert, die von Long Covid betroffen sind: Die häufig berichteten Probleme mit logischem Denken, Wortfindung und Gedächtnis sind mit einem Verlust von etwa 6,3 IQ-Punkten gleichzusetzen.

Grafik zeigt den Abbau kognitiver Fähigkeiten bei Covid-19-Erkrankungen unterschiedlicher Länge und Schwere.
Abb. 1: Abbau kognitiver Fähigkeiten in Abhängigkeit von Länge und Schwere der Covid-19-Erkrankung

Besonders stark ist dabei das Gedächtnis betroffen (s. Abb. 2). Zwar trifft dies grundsätzlich auf alle Covid-Infizierten zu, jedoch müssen Long Covid-Betroffene mit den stärksten Einbußen beim unmittelbaren und mittelfristigen Gedächtnis zurechtkommen.

Grafik zeigt den Abbau kognitiver Fähigkeiten in Bezug auf unmittelbares und mittelfristiges Gedächtnis nach Covid-19-Erkrankungen unterschiedlicher Länge und Schwere
Abb. 2: Abbau kognitiver Fähigkeiten nach Covid-19-Erkrankungen – Unmittelbares und mittelfristiges Gedächtnis

Auch im Bereich der verbalen Intelligenz sind alle Infizierten betroffen (s. Abb. 3). Während die Verluste bei asymptomatischen Infizierten und Patienten, deren Symptome wieder verschwanden, ähnlich sind, verzeichnen Long Covid-Betroffene die größten Rückgänge sowohl bei Wortdefinitionen als auch bei sprachlogischem Denken, welches auf Analogien basiert.

Grafik zeigt den Abbau kognitiver Fähigkeiten in Bezug auf verbale Intelligenz nach Covid-19-Erkrankungen unterschiedlicher Länge und Schwere
Abb. 3: Abbau kognitiver Fähigkeiten nach Covid-19-Erkrankung – Verbale Intelligenz

Auch das räumliche Planen ist in allen Gruppen beeinträchtigt (s. Abb. 4). Auch hier sind Long Covid-Betroffene diejenigen, die mit den stärksten Rückgängen leben müssen, wobei jedoch auch hier alle Gruppen von Infizierten betroffen sind.

Grafik zeigt den Abbau kognitiver Fähigkeiten in Bezug auf räumliches Planen nach Covid-19-Erkrankungen unterschiedlicher Länge und Schwere
Abb. 4: Abbau kognitiver Fähigkeiten nach Covid-19-Erkrankung – Räumliches Planen

Bildungseinrichtungen müssen kognitive Fähigkeiten Lernender erhalten

Was bedeutet dies nun für Bildungseinrichtungen? Schulen schreiben sich auf die Fahnen, Lernende gemäß ihren kognitiven Voraussetzungen bestmöglich fördern zu wollen. Dazu gehört auch, dass kognitive Fähigkeiten nicht wissentlich gefährdet werden dürfen. Es gilt also weiterhin, Covid-Infektionen zu vermeiden, wo immer dies möglich ist.

Bradford in Großbritannien hat gezeigt, wie es geht: Durch den Einsatz von HEPA-Filtern ging die Zahl der Covid-Infektionen unter Schüler:innen dort um mehr als 20 % zurück. Auch Unterrichtsausfall durch erkrankte Lehrkräfte lässt sich auf diese Weise vermeiden. Somit können auch Long Covid-Fälle unter Lehrenden reduziert werden. Unterrichtsqualität wird dann erhalten, denn Beeinträchtigungen der kognitiven Leistungsfähigkeit führen zu veränderter Unterrichtsgestaltung und erhöhter psychischer Belastung von Lehrkräften.

Raumlufthygiene muss eine Selbstverständlichkeit sein, wenn wir die Leistungsfähigkeit der aktuellen und künftigen Erwerbstätigen erhalten wollen.

Hampshire, A., A. Azor, C. Atchison, W. Trender, P.J. Hellyer, V. Giunchiglia,
M. Husain, G.S. Cooke, E. Cooper, A. Lound, C.A. Donnelly, M. Chadeau‑Hyam,
H. Ward & P. Elliott (2024). Cognition and memory after Covid-19 in a large community sample. The New England Journal of Medicine, 390(9).